Die Teezeremonie

DIE TEEZEREMONIE UND DIE VIER ASPEKTE
Zum Kloster des Meister Joshu kam ein junger Anhänger des Zen, um Joshu zu fragen: „Worum geht es beim Zen?“
Der Meister empfing ihn in seinem Raum und fragte: „Warst du schon früher bei mir?“ Der junge Mann verneinte.
„Gut“, sprach Joshu, „dann trink erst einmal eine Tasse Tee“.
Wenig später ließ sich ein zweiter Schüler beim Meister melden. Auch ihm stellte Joshu die gleiche Frage wie dem
ersten. „Ja“, sagte der Schüler, „vor einem Jahr war ich schon einmal bei Euch“. „Gut“, sprach Joshu, „dann trink
erst einmal eine Tasse Tee“.
Das beunruhigte den Vorsteher des Klosters. „Meister“, sagte er, „ich verstehe das nicht. Ihr fragtet beide, ob sie
schon mal hier gewesen sind. Der eine sagte nein, der andere ja. Doch beide erhielten die gleiche Antwort. Was
habt Ihr damit gemeint?“ „Klostervorsteher!“ rief der Meister. „Ja!“ erwiderte der. „Trink erst einmal eine Tasse Tee“.
Eine interessante und einfache Geschichte. Es gibt ein Sprichwort, das heißt: Der Geschmack von Zen und Tee ist
der gleiche. Chazen ichimi. Tatsächlich ist die Geschichte des Zen und des Tees jahrhundertelang parallel gelaufen
und hat sehr viel miteinander zu tun. Der grüne Tee ist in China schon lange bekannt. Er wird zurückgeführt auf
den gelben Kaiser, das ist 5000 Jahre her. Dieser war ein großer Gelehrter der Kräuterlehre, er hat viel selber
geforscht und probiert. Nachdem er als Anfänger begann, kam es auch vor, dass er giftige Kräuter erwischte. Er
entdeckte aber, dass, wenn er dazwischen Teeblätter isst, ihm diese Giftstoffe nicht so viel ausmachen. Der grüne
Tee wird also bereits seit tausenden Jahren in China für medizinische Zwecke verwendet. Die Zen-Mönche sind
beim Meditieren oft müde geworden. Dies hatten auch die großen Tee-Meister hinter sich, welche oft Zen-Mönche
waren. Manche gingen dann zum Arzt und fragten, was man dagegen tun könnte. Dieser sagte: „Trink doch eine
Tasse Tee!“ Bald entwickelte sich das Teetrinken zu einer gemeinschaftlichen Praxis.
Joshu lebte in der Hochblüte des Zen, in der Tang-Periode, zwischen 600 und 900. Schon damals hatte Teetrinken
einen großen Stellenwert. Bodhidharma wird der Legende nach auch als Erfinder des Tees genannt, das stimmt aber
vermutlich nicht. Zur Zeit des Joshu haben die Mönche gemeinschaftlich aus einer Schale Tee getrunken, die dann
weitergereicht wurde. Dies ist der Ursprung der Tee-Zeremonie, wo auch oft nur eine Schale herumgereicht wird,
welche dann gedreht und abgewischt wird und einer nach dem anderen trinkt daraus.
Die Teezeremonie ist schon sehr früh nach Japan gekommen, vermutlich in der Nara-Zeit im achten Jahrhundert
und hat sich dann zu einer der Künste im Hofstaat entwickelt. Es gab Wettbewerbe, bei denen man die Teesorten
erraten musste. Damals wurde Tee wahrscheinlich aus gepressten Teekuchen getrunken. Man hat die Teeblätter
gepresst, diese wurden dann noch etwas fermentiert, dann hat man Stücke abgeschnitten und mit Gewürzen
aufgebrüht. Der eigentliche Begründer der japanischen Teezeremonie war der Zen-Mönch Eisai, der auch den
Rinzai-Zen nach Japan brachte. Er brachte im zwölften Jahrhundert Tee-Samen aus China mit und pflanzte diese in
Japan. Ich folge im Internet jetzt gerade einer japanischen Gruppe von Zen-Mönchen, die nach China reisen und
zum Ursprung ihrer Praxis wollen. Gerade gestern waren sie im Tiantai Shan, einem Kloster am Berg, wo auch Eisai
war. Sie waren überrascht, dass sie dort ein Täfelchen zur Erinnerung an Eisai gefunden hatten. Er hatte dort eine
Schale Tee einer Gruppe von kleinen Rakan-Figuren geopfert. Die Teezeremonie, die Eisai mitgebracht hatte, wurde
mit pulverisiertem Tee ausgeführt. Das war eine Neuerung. Die Art, wie wir Tee trinken, dass wir Teeblätter
aufgießen, stammt erst aus dem 17. Jahrhundert.
Was hat Zen mit Tee zu tun? Die Teezeremonie, wie sie sich in Japan entwickelt hat, war zunächst stark chinesisch
geprägt. Man versuchte, möglichst schöne, prunkvolle Teeschalen zu produzieren. Dies war eine Sache des Hofes,
von Leuten, die Geld hatten. Einfachen Leuten war dies unbekannt. Dann kam der große Reformator Senno Rikyu.
Dieser veränderte die Teezeremonie zu einer schlichten Sache. In dieser Schlichtheit sind auch unsere Zendos
ausgestaltet. Wenn wir unser Zendo betrachten, sehen wir nicht viele prunkvolle Farben, es ist nichts aufgehängt.
Wer hingegen schon einmal in einem tibetisch buddhistischen Raum war, weiß wie farbig es dort ist. Es gibt dort
verschiedenste Figuren und Symbole. Hier haben wir es schlicht, in den Farben der Natur. Schwarz wie die Farbe
der Kalligrafien. Die Teeschalen, welche für die Zeremonie verwendet werden, sind oft mit einer Glasur Raku
überzogen und asymmetrisch. Dies ist ganz anders, als in China. In japanischen Teeräumen sieht man zB einen
Baumstamm, an dem noch die Äste zu erkennen sind, der seine Eigenheit bewahrt hat, ohne dass alles
abgeschnitten wurde.
Jetzt zu den vier Aspekten. Diese wurden im elften Jahrhundert von einem Chinesen erfunden. Damals hieß es, die
irdische Welt ist in ihrem Handeln ohne innere Harmonie, ein jeder wird von Habgier, Zorn und Unwissenheit beherrscht. Wir aber wollen in Harmonie und Respekt leben und unser gesamtes Handeln sei rein und still. Hier
finden sich in einem Satz alle vier Aspekte: Klarheit, Respekt, Harmonie, Stille.
Beginnen wir mit Klarheit. Wann entsteht Klarheit? Sie entsteht, wenn man Dinge weglässt. Dies ist in unserem
Leben genauso. Klarheit entsteht, wenn wir uns von Dingen trennen, die keinen Sinn mehr für uns haben. Sie
haben vielleicht einen Erinnerungswert. Diese Erinnerungsstücke können aber sehr schnell zu einem Ballast
werden, der uns behindert. Hier in unserem Zendo ist Klarheit auch in unseren Bewegungen. Die Klarheit,
hereinzukommen und nichts herum zu nesteln. Man erkennt Menschen, die schon lange Zen machen, dass sie
hereinkommen in einer klaren und natürlichen Weise. Sie verbeugen sich und setzen sich hin, während andere sich
noch zurechtrücken und nesteln. Klarheit kommt von klaren Regeln, die wir hier in diesem Zendo haben. Diese
Klarheit, die wir hier in diesem Zendo haben, in dem wir in der Stille sitzen, spiegelt sich auch nach außen. Wenn
Menschen ein paar Tage miteinander sitzen und auch die Teezeremonie miteinander machen, zeichnet es sich
durch eine hohe Klarheit aus, wie die Schalen genommen werden und die Matten aufgerollt werden. Da wurde alles
weggelassen, was uns behindert.
Der zweite Aspekt ist der Respekt. Respekt ist in diesem Fall ein Sich-Zurücknehmen. Respekt hat auch viel mit
Klarheit zu tun. Wenn wir den ganzen Rucksack mit Gedanken an unseren Alltag und belastenden Gefühlen an der
Tür abgeben, erkennen wir, dass auch andere Menschen da sind. Dann ist es leichter, Respekt zu empfinden, da wir
nicht mehr mit uns selber beschäftigt sind. Respekt bedeutet auch Einfachheit im Teeraum und Auflösung der
Hierarchien. Wir haben vor einem ganz jungen Menschen genauso Respekt wie vor einem alten Menschen, vor
einem armen Menschen genauso wie vor einem reichen Menschen, da gibt es keine Unterschiede. Was bedeutet
dies gerade für die Teegeberin? Das ist eine ganz wichtige Funktion, denn die Teegeberin, der Teegeber, ist
besonders die Person, die ihr Ego vor der Tür lässt. Jisha, der Name für die Teegeberin, bedeutet die Person, welche
dient. Diese Person hat in besonderem Maße eine Wahrnehmung dafür, was in diesem Raum passiert, für alle die
hier sind. Sie dient uns allen. Wenn sie nach vor geht, ist es ihre Funktion, an alle von uns zu denken. Danach sitzt
sie hier kurz vor dem Tischchen, auf dem alle vier Elemente stehen, die unser Leben ausmachen. Wasser, Luft
(Weihrauch), das Feuer der Kerze und die Blume, welche für die Erde steht. Auch das ist Respekt. Es gibt ein
schönes Gedicht, welches dieses Nicht-Ego-Sein beleuchtet. Auf japanisch und deutsch:
„Omowaji to „Selbst zu beabsichtigen
omou mo mono wo nicht beabsichtigen zu wollen,
omou nari ist Absicht. Gilt es doch gerade,
omowaji to dani mein Lieber, nicht absichtlich
omowaji ya kimi“ Absicht nicht zu beabsichtigen“
Die Teegeberin kommt absichtslos herein. Wenn sie aber denkt, sie darf keine Absicht haben, hat sie bereits eine
Absicht. Das ist der Inhalt. Nur durch vielmaliges Üben kommt sie dorthin, dass sie keine Absicht hat, dass eine
Natürlichkeit in ihren Abläufen entsteht. So auch bei uns, wenn wir die Teetasse nehmen. Nur durch das vielmalige
Üben schaffen wir es, die Absicht auszuschalten. Absicht heißt, dass wir willentlich daran denken. Und die
Teezeremonie ist eine Zeremonie, bei der wir den Verstand außen vor lassen. Der Verstand ist in der äußeren Welt
sehr nützlich. Hier und da ist es aber auch nützlich, den Verstand auszuschalten.
Die Harmonie. Es ist ganz klar, dass die Teezeremonie eine Zeremonie der Harmonie ist. Dies zeigt sich in der
Abfolge in der Welle, in den fließenden Bewegungen der Teegeberin. In der Außenwelt im Alltag nehmen wir oft
Standpunkte ein und das ist etwas sehr Fixes. Harmonie bedeutet hingegen gleichzeitig auf alles zu achten, auf die
anderen zu achten, auf mich zu achten, auf die Bewegung zu achten. Und indem ich nicht achte, achte ich. Der
japanische Herrscher Shotoku Taishi im siebenten Jahrhundert, der die erste Verfassung geschrieben hat, schrieb in
deren ersten Artikel: „Das Wertvollste ist die Anmut des Geistes“. Dogen, ein japanischer Zen-Meister, der selbst
auch in China gewesen war, wurde gefragt: „Was hast du aus China mitgenommen?“ Er antwortete auch: „Die
Anmut des Geistes.“ In der Teezeremonie ist die Anmut des Geistes da. Mit dem Tee hängt auch der Blumenweg
zusammen. Ursprünglich wurde das Ikebana daraus entwickelt, dass man auf einem Tisch, auf dem eine BuddhaStatue stand, auch Blumen hingab. Diese Blumen mussten nach einem bestimmten Prinzip angeordnet werden.
Dies war eine Dreiheit zwischen shin (Wahrheit), hei (Mensch) und soe (der Vermittler dazwischen), die das
Blumenmuster symbolisieren sollte. Die Wahrheit und der Mensch, das Materielle, und als Vermittler der
Boddhisattva. Als sich die Teezeremonie in eine Zeremonie der Natürlichkeit entwickelte, hat es sich verändert. Der
starre Symbolismus passte nicht mehr zu der Idee, dass etwas natürlich aus sich heraus entsteht. Es wurde dann zu
nageire, das bedeutet, die Blumen zufällig gruppieren, sodass sie natürlich aussehen. Daraus wurde das Ikebana. Dieses Wort ist noch schöner, denn es bedeutet „am Leben erhalten“, das Lebendige der Blumen herausspüren.
Blumen haben sehr viel mit der Harmonie zu tun. Wenn wir jetzt bald Kirschblütenzeit haben und wir haben
draußen einen Baum, der blüht und man bringt von zu Hause einen Kirschblütenzweig mit, kann das zu viel sein.
Das kann die Harmonie stören, weil es zu viel Kirschblüte wäre. Vielleicht nimmt man dann eine andere Blume und
streut bloß ein paar Blüten herum. Wenn wir dann noch Marzipan-Kirschblüten zum Matcha-Tee hätten, wäre das
absolut zu viel. Die Funktionsträger müssen sich bei der Teezeremonie absprechen, überlegen, was die beste
Harmonie zwischen Blüten, Tee und Süßigkeiten darstellt.
Der vierte Aspekt ist die Stille. Gemeint ist die innere Stille, es ist die äußere Stille und die Zweiheit, die über Stille
und Geräusch hinausgeht. Nehmen wir noch einmal die Geschichte vom Anfang her. Joshu sagt: „Hast du schon
eine Tasse Tee getrunken?“ Was meinte er damit eigentlich? Man kann viel über diese Geschichte nachdenken. Der
Tee ist eine sinnliche Sache. Heute würde mir jemand über Facebook schreiben: „Hej, ich habe jetzt schon ein Jahr
lang meditiert. Jetzt habe ich die Frage, worum geht es eigentlich im Zen?“ Ich könnte jetzt auch sagen: „Trink doch
mal eine Tasse Tee“, aber eher würde ich aber sagen: „Komm doch mal her und sitz mit uns!“ Das ist etwas sehr
Konkretes, etwas, was man macht. Es gibt immer eine Spannung zwischen Wissen und Tun. Die Menschen wollen
wissen, wie sie erleuchtet werden. Joshu würde sagen: „Trink mal eine Tasse Tee. Du musst das Leben spüren, du
musst etwas machen. Du musst es selber erfahren.“ Die Teegeberin spürt die Wärme des Tees. Wir spüren es auch,
wir riechen das Aroma des Tees. Und wir spüren das Schlucken. Mehr ist Zen nicht, Zen ist Alltag. Daher ist es auch
so schlicht eingerichtet. Früher war alles heilig, Buddha war heilig und die Teezeremonie war heilig, nur ganz
besondere Leute konnten es machen. Wir müssen aber zurück zum Ursprünglichen und zum Erfahren. Das heißt
auch einmal den Computer abzudrehen und eine Schale Tee zu trinken.